Dr. Klaus Rohrandt, Bildanalyse:  „Theater“ (2013), Acryl auf Leinwand, 80 x 120 cm

 

Durch den Bildtitel inspiriert meinen wir nach unserer herkömmlich-traditionellen Bildbetrachtung mit einiger Mühe eine Theaterbühne erkennen zu können. Einige angedeutete Tiefenlinien links erschließen uns sogar eine Raumsituation. Links werden Figuren sichtbar. Möglicherweise können wir in konventioneller Bildbetrachtung aus den gebeugten Formen rechts ebenfalls Figuren herauslesen. Der leere Vordergrund scheint von kaltem, weißem Licht zentral überflutet. Den Mittelgrund versperrt eine riesige Wand mit einer gewaltigen Spiralform - als Bild im Bilde.

Die energiegeladene Spirale zog unsere Aufmerksamkeit von Anfang an auf sich - wie wir uns jetzt erinnern. Chaotisch wirkende Formen rechts im Bild kontrastieren gegen die mitreißende Strömungsform der Spirale in der Bildmitte. Ein zentraler Punkt wird umkreist.Entstanden durch totale Bewegtheit formt sich in energischer Linksdrehung  -wie unsichtbar getrieben- die Spirale, in deren Mitte eine neue Ordnung konzentrierter Ruhe entsteht- das Auge eines Tornados!

Jetzt erkennen wir auch, dass sich aus der immer kleinteiliger werdenden Mitte das helle Licht nach vorne strömt wie das gleißende Licht aus dem Mittelpunkt einer Spiralgalaxie. Die Bewegung des Pinsels sammelt und ordnet sich zur Bildstruktur. Die gestischen Zeichen der Malbewegung,  Ergebnis eines zeitlich abgeschlossenen Gestaltungsprozesses, sind zur abstrakten Bildform geronnen. Dies ist das angestrebte Ergebnis der informellen Malerei. Die Künstler verfolgen kein vorgeprägtes, im Kopf entwickeltes Konzept, das etwa mit Skizzen und Vorstudien vorbereitet werden muss. Der vom Zufall provozierte Schaffensprozess führt über das Experiment zum bildnerischen Ergebnis.

Ein angedeuteter gegenständlicher Bezug zur sichtbaren Realität dient höchstens als Einstiegshilfe für den unerfahrenen Betrachter informeller Malerei.Vielmehr sollen innere Zustände visualisiert werden.

Das wird auch unterstützt durch die autonom verwendete Farbe, die von ihrem Darstellungswert befreit und materiell mit Sand angereichert worden ist. Das Blau erhält hier eine psychische Dimension. Als kühle Farbe wird sie verbunden mit der Klarheit der Ferne, aber auch der Sehnsucht. Viele positive Eigenschaften werden mit Blau assoziiert wie Harmonie, Sympathie, Zufriedenheit. Das Blau symbolisiert geistige Ordnung, ist emotional ausgleichend und mäßigend, wirkt beruhigend, entspannend,still.
Dem Betrachter wird in der informellen Malerei die Möglichkeit gegeben, seine individuellen Gedanken und Gefühle mit den Formen und Strukturen im Bild zu assoziieren.

Das Hineinsehen und Hineindeuten von Inhalten oder Formen in die Bilder ist grundsätzlich erlaubt. Deshalb gibt es keine richtige oder falsche Interpretation. Es kann sogar vorkommen, dass verschiedene Personen ganz Verschiedenes in den Gemälden erkennen. Gemäß der aus der Informationstheorie entwickelten modernen Ästhetik, z. B. von Max Bense, leistet das Kunstwerk eine ästhetische Information. Information ist Innovation. Innovation entdeckt Neues und Unbekanntes.

Aber auch die informelle Malerei ist nicht völlig losgelöst vom sozialen und historischen Kontext der Künstler und Betrachter. Die von der Tradition entrückte Kunst des Informel verleugnet zwar konventionelle Formen und Deutungen, bleibt aber in der Erschaffung neuer Wirklichkeiten nicht völlig unabhängig von den Denkweisen ihrer Vorläufer. Das hat Otto Stelzer schon mit seiner Vorgeschichte der abstrakten Kunst im 18. und 19. Jahrhundert nachgewiesen.

In diesem Werk greift Karl-Heinz Kock auf das alte ideale Prinzip ästhetischer Proportionierung, dem sogenannten „Goldenen Schnitt“ zurück, das der Pisaner Rechenmeister Leonardo Fibonacci (1170-1250) im Jahre 1202 in seinem „Liber abaci“ mathematisch definierte. Die Fibonacci-Folge ist eine unendliche Folge von Zahlen, bei der die Summe zweier benachbarter Zahlen die unmittelbar folgende Zahl ergibt.
Angewendet auf Flächenformen ergibt sich die Idealform einer Spirale. Die Spiralstruktur ist wohl die universellste Grundform im gesamten Universum. Sie kommt als grundlegendes Ordnungsmuster und Prinzip sowohl im Makrobereich der Galaxien als auch im Mikrokosmos der Muscheln, Blüten und Pflanzen vor.

Der Schwingungsforscher und Wasser-Klang-Künstler Alexander Lauterwasser  konstatiert: „Wo die Natur versucht, Gegensätze oder Polaritäten miteinander in einen Prozess zu bringen, in einen Dialog oder gar eine Integration zu realisieren, dort scheint ihr das in der Prozessgestalt der Spirale am Optimalsten zu gelingen.“

Als ästhetische Integrationsstruktur dient die Spirale Karl-Heinz Kock in seinem Bild.
Kleinteilige lineare und flächige Partien, helle und dunkle Kontraste, die Komplementärfarben kühles Blau und warmes Orange (dazu das brennende Rot) werden aus ihrer Polarität zu einer ausgewogenen Harmonie gebracht. Letztendlich ist die Spirale ein uraltes heiliges Symbol der Schöpfung. Die linksdrehende Spirale führt von außen zurück in die Mitte und gilt als Zeichen der Rückkehr zur Einheit. Naturgesetz und alte ästhetische Prinzipien werden mit individuellen abstrakten malerischen Arbeitsverfahren verbunden und zu neuen Ausdrucksmöglichkeiten in der modernen Malerei entwickelt.
Karl-Heinz Kock ist mit seinem unverwechselbaren Beitrag an dieser Entwicklung positiv beteiligt.